Wer gehört an die Klinikspitze?
Ob Spagat oder Schraubzwinge – an Metaphern für die Situation der Krankenhäuser mangelt es nicht. Der Grund dafür ist das Verhältnis der übergeordneten Ziele der Kliniken. So müssen sie einerseits für eine exzellente Behandlungsqualität und Wohlbefinden der Patienten sorgen. Und andererseits über Betriebsmodelle verfügen, die eine nachhaltige finanzielle Stabilität sichern.
Die Komplexität entsteht dabei weniger aus dem potenziellen Widerspruch dieser Ziele, sondern vielmehr aus ihrer gegenseitigen Verschränkung: Erst finanzielle Spielräume ermöglichen Innovation, Qualität und Patientennutzen, die wiederum durch das Krankenhausstrukturgesetz (KHSG), lukrative Behandlungsschwerpunkte und zusätzliche Einnahmequellen Geld in die Klinikkassen spülen.
Die Frage, ob die obersten Führungspositionen eines Krankenhauses von Medizinern oder von Managementexperten besetzt werden sollen, ist vor diesem Hintergrund nicht leicht zu beantworten. Dass Vertreter der Kernleistung auch die Top-Positionen besetzen sollten, liegt vermeintlich auf der Hand. Ein tiefes Verständnis der Behandlungsprozesse, Akzeptanz im Kollegenkreis und fachliche Autorität sind dabei starke Argumente. Auch die Ausbildung einer konsistenten, konsequent am Patientenwohl orientierten Organisationskultur, fällt unter Umständen leichter, wenn an der Spitze des Klinikums Menschen stehen, die die gleiche berufliche Sozialisation durchlaufen haben, wie die Mehrheit der Mitarbeiter.
Doch gleichzeitig lassen sich auch starke Gegenargumente finden. So fehlt den meisten Medizinern das notwendige Know-how, um die hochkomplexen technischen und betriebswirtschaftlichen Abläufe eines Klinikums zu analysieren und zu verbessern, das anspruchsvolle Finanzmanagement zu organisieren und Effizienzpotenziale entschlossen und vielleicht auch mit Härte zu heben. Der Patientennutzen und sogar die Behandlungsqualität hängen eben nicht nur von der Kunst der behandelnden Ärzte ab, sondern maßgeblich auch davon, wie reibungslos die Prozesse organisiert sind und welche Personalressourcen und finanzielle Spielräume bestehen.
Folgerichtig sollten die Führungspositionen mit Menschen besetzt werden, die in beiden Welten zuhause sind, im Idealfall über eine doppelte Ausbildung verfügen und sowohl ärztlich als auch kaufmännisch erfahren sind. Allein, es gibt mehr Kliniken als Führungskräfte mit diesem Profil, woran auch die seit Jahren erhobenen Forderungen nach entsprechenden Ausbildungen nicht viel geändert hat.
Deshalb gilt es die Fragestellung aus zwei Perspektiven zu betrachten. Zum einen könnten Krankenhäuser daran arbeiten, Führungsstrukturen auszubilden, die eine formale Doppelspitze ermöglichen, oder auf eine stark teamorientierte Arbeitsweise und Heterogenität der Kompetenzen im Top-Management setzen. Die Erfolgsaussichten dieser Strategie sind jedoch keinesfalls gewiss. Doppelspitzen und Teams haben in den obersten Führungsgremien branchenübergreifend meist keine lange Halbwertszeit und bergen Konfliktpotenziale. Sie erfolgreich zu organisieren verlangt allen Stakeholdern ein hohes Maß an Zurückhaltung, Reflexion, Regelakzeptanz und Kompromissbereitschaft ab und wirkt nicht unbedingt als Entscheidungsbeschleuniger.
Die zweite Perspektive setzt an der konkreten Situation und den wichtigsten individuellen Handlungsbedarfen eines Klinikums an. Liegen diese primär im Bereich der Kernleistung, ist die Spitzenbesetzung mit einem Mediziner ggf. sinnvoller als im Fall finanzieller oder prozessualer Herausforderungen. Was aber tun, wenn der Fokus der Aufgaben sich verändert, oder eine Gewichtung – u.a. wegen der erwähnten Verschränkung der Themen – nicht eindeutig feststellbar ist?
Diese Überlegungen laufen darauf hinaus, dass es keine generalisierbare Antwort auf die Frage gibt, ob Mediziner oder Betriebswirte für den Job an der Spitze eines Klinikums besser geeignet sind. Die Krankenhäuser stellt das vor die Aufgabe, die Besetzung der Top-Positionen aus möglichst vielen unterschiedlichen Sichtweisen zu beleuchten, die individuelle Situation in den Fokus zu rücken und zu akzeptieren, dass dabei dennoch Entscheidungen unter Unsicherheit getroffen werden müssen.